Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Moment rückt näher: Am 17. August werde ich im Gottesdienst in Esselborn als Gemeindepfarrerin im Kettenheimer Grund verabschiedet. 21 Jahre war ich hier tätig, habe mit den Menschen in Freimersheim, Wahlheim, Esselborn, Kettenheim gelebt, manches Dorffest mitgefeiert und bin heimisch geworden. Das lag auch daran, dass viele mir ihre Herzen und Türen aufgetan haben, dass Sie mein Ankommen und meine Arbeit unterstützt haben, dafür bin ich dankbar. Es war meine erste Pfarrstelle.
Am 29. August 2004 bin ich in der Wahlheimer Kirche ordiniert worden. Der damalige Propst, Dr. Klaus Volker Schütz, hatte mich als Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in mein Amt eingeführt. Ich erinnere mich noch, wie er in seiner Predigt sagte, der Pfarrberuf sei - laut Berufsbeschreibung der Arbeitsagentur - eine überwiegend sitzende Tätigkeit.
Zum Teil stimmt das. Ich sitze oft am Schreibtisch oder an Küchentischen, in Wohn- oder Esszimmern von Gemeindegliedern, bei denen ich zu Besuch bin, bei einem Seelsorge- oder Kasualgespräch. Doch ich war auch unterwegs - zwischen den Dörfern, in der Region, etwa zu Zentralgottesdiensten, auf dem Kindergrabfeld in Alzey, das ich seit nahezu 20 Jahren für das Ev. Dekanat begleitet habe, zu Bestattungsinstituten, Trauergruppe, Seniorenheimen, Krankenhäusern, Dekanatskonferenzen, DSV, Vorbereitungstreffen für Konfirmandenfreizeiten und vielem mehr.
Und ich war nahezu täglich auf Hundespaziergängen auf den hiesigen Feldwegen. Dabei kam es zu Begegnungen, gab es den ein oder anderen Plausch vom Traktor aus, in der Wingertsreihe oder am Gartenzaun. Mit meinem Hund Rico war ich im August 2004 ins frisch renovierte Pfarrhaus in Kettenheim eingezogen. Ich war froh, ihn dabei zu haben, denn das Haus ist groß und ich fühlte mich durch ihn nicht allein. Da ich mit wenig Möbeln kam, musste und konnte ich mir einiges neu kaufen, so richtete ich mich häuslich ein.
Als blutige Anfängerin kam ich in vier Kirchengemeinden mit vier Kirchenvorständen, die es gewohnt waren, auch zusammen zu tagen, mit vier Dorfkirchen, zwei Gemeindehäusern, einem Pfarrhaus mit großem Garten, eher einem Park mit Wiese und altem Baumbestand. Ins vorhandene Gemeindeleben konnte ich mich einbringen, denn es gab schon einiges, was ich vorfand - ein gut bestellter Acker, auch Dank meines Vorgängers.
Ich traf einen Singkreis, dem ich beitrat, an dessen Proben und Auftritten ich oft teilnahm, zwei Frauenkreise, die ich zusammen einmal monatlich mit Inhalt versorgt und geleitet habe. Beide Kreise wurden altersbedingt, spätestens seit Corona aufgegeben. In jedem Ort fand ich einen Kindergottesdienst vor. Kurios war, dass sich in Esselborn eine Mitarbeiterin fast 30 Kindern gegenübersah, während in Kettenheim das zwei Personen-Team manchmal enttäuscht nach Hause ging, weil kein Kind zum Gottesdienst gekommen war. Ich habe daraufhin den Kindergottesdienst mit Treffpunkt in Wahlheim zusammengelegt und die Feier für Kinder auf einen vierwöchigen Rhythmus umgestellt. Die ehrenamtlich Mitarbeitenden bilden seitdem ein gemeinsames Team, das sich mit wechselnder Besetzung zur Vorbereitung alle vier Wochen trifft. Froh und dankbar bin ich, dass der Kindergottesdienst bis heute existiert.
Jedes Jahr gab es vom Pfarramt aus entweder einen Gemeindeausflug oder eine Reise, die ich geleitet habe. Gerne erinnere ich mich an die Tagesfahrten, etwa nach Würzburg, Maria Laach, Bad Berg-zabern, Darmstadt, Speyer, Frankfurt, an die Gemeindereisen, etwa mit Pfarrer Tobias Kraft in die Türkei, nach Burgund mit dem Schwiegersohn des Küsterehepaars Bergunde als Reiseleitung, die Fahrten nach Irland und Rom mit meinem Kollegen und späteren Ehemann, Pfarrer Eric Bohn. In Rom war ich zweimal auch mit Jugendlichen und ehrenamtlichen Betreuern unterwegs.
Alle zwei Jahre feierten wir im Kettenheimer Pfarrgarten ein Gemeindefest mit vielen Menschen, bis vor Corona. 2018 probierten wir etwas Neues aus, so kam die Feierabendkirche zu den wiederkehrenden kirchlichen Angeboten hinzu. Taizé-Andachten wurden gefeiert, aus dem Singkreis entwickelte sich ein Projektchor, den es leider nicht mehr gibt. Mit dem Posaunenchor machte ich mich auf zum Kurrendeblasen, nicht als aktive Bläserin, aber unterstützend mit den Kirchenvorständen und Gemeindegliedern als Zuhörende und Gastgeber. Hinzukamen die Organisation verschiedener Konzerte, die das Gemeindeleben bereichern, sowie die Betreuung von Renovierungsarbeiten unserer Gebäude innen und außen.
Wenn ich mich frage, wo die Zeit geblieben ist, erinnere ich mich nicht an jeden einzelnen Konfi-Jahrgang, es sind 20 gewesen, oder an 19 Krippenspiele, der Pandemie wegen fiel eines aus. Durch Corona waren wir herausgefordert, Neues zu entwickeln, fremde Formen auszuprobieren. So gab es Heiligabend 2021 das Weihnachtslicht aus Bethlehem und die Geburtsgeschichte Jesu auf kleinen Papierröllchen zum Mitnehmen, Zoomunterricht für Konfirmanden, Gottesdienste und Konfirmationen mit wenig Menschen, dafür viel Abstand.
Immer wieder fanden sich Leute in unseren Kirchengemeinden, die bereit und mutig waren, sich auf Unbekanntes einzulassen, Ungewohntes zuzulassen. Dabei kamen tolle Aktionen heraus, wie das Picknick-Konzert 2024 an der Esselborner Kirche, die Fusion zur evangelischen Kirchengemeinde Kettenheimer Grund, die wir in den Kirchenvorständen gemeinsam vorbereitet und umgesetzt haben und die seit 1. Januar 2025 rechtskräftig ist. Bei solchen Neuerungen ist viel Gutes entstanden, das bis heute wirkt. Das macht Mut, weiter Unbekanntes zu entdecken. Dazu gehört auch, sich in einem Nachbarschaftsraum mit anderen Kirchengemeinden zusammenzutun, einen gemeinsamen Konfirmandenunterricht auszuloten, eine neue Pfarrperson kennenzulernen.
Aufbrechen, sich auf den Weg machen, das gehört zum Leben mit Gott dazu. Das galt für das alte Israel, das seit seiner Flucht aus Ägypten mit der Bundeslade unterwegs war, in der sich der Wille Gottes befand, die Zehn Gebote. Das galt für das frühe Christentum, das sich nur deshalb ausbreiten konnte, weil Menschen wie Paulus und die Wandermissionare des irischen Mönchtums bereit dazu waren, von Zuhause wegzugehen, um anderen von Jesus Christus zu erzählen. Das gilt auch für mich heute. Auch ich bin gerufen, wegzuziehen von Kettenheim nach Oppenheim, also nicht weit weg, aber doch in ein anderes Dekanat, zu anderen Kirchengemeinden, in einen neuen Nachbarschaftsraum. Dort werde ich künftig wohnen und arbeiten.
Es wird mir schwerfallen wegzugehen. Doch ich hatte mir von Anfang an vorgenommen, eines Tages die Pfarrei zu wechseln, um mich neuen Herausforderungen zu stellen. Denn Veränderungen sind wichtig. Sie nötigen uns dazu, flexibel zu bleiben, fordern und fördern unsere Kompetenzen, lassen Spannendes entdecken und eröffnen Neues. Dennoch bin ich froh, dass Oppenheim nicht weit weg ist. Bei der ein oder anderen Gelegenheit sehen wir uns wieder.
Bis es soweit ist, möchte ich Ihnen den Bibelspruch mitgeben, der 2013 Jahreslosung gewesen ist: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebräer 13,14) Diesen Text mit dem schön gestalteten Aquarell von Erwin Friese habe ich seit 2013 auf meinem Schreibtisch stehen. Er erinnert mich daran, dass Kettenheim eine Zwischenstation ist und ich zum Aufbruch und Weiterziehen aufgefordert bin.
Bleiben Sie behütet!
Gottes Segen für Sie und Ihre Familien und „Auf-Wiedersehen“
wünscht Ihnen Ihre Gemeindepfarrerin Anja Krollmann